ESSEN. Heute vollendet er sein 70. Lebensjahr: Reinhard Kardinal Marx, Erzbischof von München und Freising. Dass viele in diesen Tagen dazu gratulieren, seinen Lebensweg nachzeichnen, seine Verdienste in vielen Ämtern wägen, ist in der Masse schon vergleichsweise auch ungewöhnlich. Und man darf mit Blick auf die zahllosen bundesweit erschienenen Artikel sicher sagen: Sie gehen an vielen Stellen sogar deutlich über vorgefertigte Agenturmeldungen hinaus, man müht sich ab an seiner Vita, an seiner öffentlichen Präsenz in so vielen Jahrzehnten, seiner bewegten Lebenslinie als Amtsträger und als Mensch.
Das kann niemanden verwundern, der ihn in viele Lebensstationen erlebt hat, in Aufgaben, die er sich selbst gestellt hat, die er übernahm und die ihm auch aufgenötigt wurden. Einem auf jeder Bühne – zumindest nach außen hin - kraftstrotzenden und begeisterten Macher, der sich ganz in den Dienst der Kirche stellte, der sich schon in seiner Jugend ein Bild von Papst Johannes XXIII. an die Zimmerwand hängte, als andere die Stones, Niki Lauda oder Bob Dylan an die Tapete pinnten. Und der seinen Traum von der Freiheit des Christenmenschen ganz leben wollte - Ubi spiritus domini ibi libertas - geprägt durch sein Elternhaus, seine Heimat in Geseke, seine Freunde, seine ganze Welt an der Verbindungsstrecke zwischen Ruhrpott und Paderborn. Der auch als Student in Paderborn, Paris, Münster und Bochum begeistern konnte und leidenschaftlich für eine Kirche eintrat, die sich im Auftrag und Geist Christi ganz der Welt zuwendet und sie nach den Grundsätzen der inzwischen so aus dem Bewusstsein geschwundenen Katholischen Soziallehre verwandelt.
In seiner Dissertation arbeitete er sich daran ab, versuchte Perspektiven auf eine andere, neue Kirche, die sich nicht selbst feiert und genügt, sondern die mitten unter den Menschen ist, sie wirklich kennt und aktiv Anteil an ihrem Leben nimmt. Nicht nur in seinen vielen Publikationen kann man das stringent nachvollziehen, sondern auch in den persönlichen Begegnungen, die ihm wichtig sind, doch für die er in vielen Aufgaben kaum noch Zeit fand und findet. Denn was manchem der Kommentatoren nach außen nach gezielten Machtstreben und Ämterhäufung aussah, ist es nicht, was Bbr. Marx wirklich umtrieb. Er hätte sich als junger Professor lieber der Wissenschaft verschrieben, als ihn der Ruf ins erste Bischofsamt in seinem Heimatbistum ereilte. Er nahm das zweite in Trier an, wollte es dann aber auch gestalten. Bis er als Erzbischof in München, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und der COMECE in Brüssel, als Kardinal und im Kardinalsrat ganz in die Spitze der Hierarchie aufstieg. Wo sein packevoller Kalender fast aus dem Ruder lief und große Entscheidungen zu treffen waren.
So tragen viele Themen, die bundes- und weltweit bewegen und eine in vielen Teilen allzu selbstreferentiell gewordene Kirche verändern, seinen deutlichen Stempel. Es dürfte klar sein, dass er die weiteren Entwicklungen sehr intensiv verfolgt, auch wenn er die unmittelbare direkte Verantwortung nicht mehr trägt. Und sie werden ganz sicher Früchte tragen - auch wenn es vielen vielleicht noch nicht so aufgefallen ist. Doch wenn er sich jetzt mehr auf sein Erzbistum konzentriert, dann tut er dies sicher in vieler Hinsicht selbst auch sehr nachdenklich. Nach Jahrzehnten, die mitzugestalten waren, in denen immer Neues auf ihn zukam, in der er oft ungeduldig und dünnhäutiger wurde, in denen enge Freunde vorausgingen, und in denen sicher auch das Gefühl eintrat, nicht allem und allen gerecht geworden zu sein.
Unitarische Heimat
Für ihn, der seinen Weg mit vielen Bundesbrüdern begann und zu denen sich schließlich auch Bundesschwestern gesellten, stand er immer bereit. Immer wieder ließ sich gerne in die Pflicht nehmen, als Geistlicher Beirat, an Wegscheidungen und großen Ereignissen im Unitas-Verband, an vielen persönlichen Lebensstationen. Die Unitas mit ihrem von der großen Weite der Katholizität zeugenden Wahlspruch ist ihm Heimat bis heute und mit ihren Prinzipien der Virtus, Scientia und Amicitia ein treffendes Lebensprogramm. Als Seelsorger, Freund und Mitgeher auf den Wegen durch viele Länder begleitete Reinhard Marx unzählige Wallfahrten der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Studentenverbände (AGV), doch wippte er 1990 und in den folgenden Jahren auch kräftig die Wiege der Unitas Ruhrania mit, die sich damals an den Ruhrgebiets-Universitäten konstituierte: „Macht das. Ihr werdet gebraucht“.
Und er leistete dazu seinen aktiven Beitrag, feierte Messen, kam zu Foren, feierte die Publikation der Ruhrania in Bochum, war bei Aktiventagen wie in Duisburg und immer wieder Festredner, er stellte Fragen nach der politischen Natur des Evangeliums in den Mittelpunkt, nach Gerechtigkeit im Land, erinnerte an die kirchliche Sozialverkündigung wie die Enzyklika Rerum novarum oder feierte den Unitarier und Sozialethiker Franz Hitze an dessen Geburtsort. Immer wieder als Mutmacher, als Freund, als Begleiter, als überzeugter und überzeugender Zeuge seines ganz persönlichen Glaubens.
„Wer glaubt, der zittert nicht!“
Bis heute zeugen davon die Protokolle und Berichte, die auch an einen seiner Lieblingssprüche von Papst Johannes XXIII. erinnern: „Wer glaubt, der zittert nicht!“ – das Motto der legendären großen 107. Unitas-Generalversammlung 1984 in Münster. Man möchte heute den Satz auch vollständig zitieren: „Wer glaubt, der zittert nicht. Er überstürzt nicht die Ereignisse. Er ist nicht pessimistisch eingestellt. Er verliert nicht die Nerven. Glauben, das ist Heiterkeit, die von Gott stammt.“
Sie ist unserem Bbr. Reinhard Marx - zusammen mit guter Gesundheit und Gottes reichem Segen - auch im Namen der Unitas Ruhrania heute von ganzem Herzen zu wünschen.
Dr. Christof Beckmann,
AHV-X Unitas Ruhrania