ESSEN. Die gut 400 Kilometer von Essen nach Calais heute waren jetzt wirklich nur noch ein Katzensprung. Dann rüber und gut 500 Kilometer weiter in den Norden - für Katrina kein Problem. Sie hat schon ganz anderes hinter sich gebracht. Gestern haben sie ihre wenigen Sachen gepackt und am Morgen haben sie uns in Essen verlassen.
Anfang August kreuzten sie mit dem Wagen am Unitas-Haus auf. Wie sich herausstellte, war Katrina nach dem Ausbruch des Krieges in ihrer Heimat bereits in England gelandet, wo ihr Verlobter schon länger arbeitet. Doch als die Kämpfe um Cherson zunahmen, machte sie sich auf den Weg: Über die Türkei, Georgien und weitere 1.500 Kilometer durch Russland schlug sie sich über die ukrainische Grenze nach Hause durch, um auch Mutter Tetjana und Tante Olha aus der Gefahr zu holen. Sie nahmen ihren Pinscher an die Leine, packten das Auto und fuhren los.
Start für eine gefährliche Reise
Für die drei Frauen begann jetzt eine lange und gefährliche Reise: Sie starteten morgens um halb Sechs mitten durchs Kriegsgebiet, Straßensperren, Luftangriffe. Zwei Stunden später erreichten sie die Grenze bei Armyansk, reihten sich in kilometerlange Warteschlangen. Fünf Stunden lang wurden die Autos inspiziert, alle Gepäckstücke durchsucht. Über Simferopol auf der Krim und Taman ging es weiter nach Pjatigorsk im Nordkaukasus. Hier begann eine Strecke, auf der es an den Straßensperren nur mit Bestechung der Verkehrsbeamten weiterging. Am dritten Tag erreichten sie Stepanzmida und die georgische Hauptstadt Tiflis, Batumi und Samsun. Weitere 1.800 Kilometer führte die Route an der südlichen Schwarzmeerküste entlang nach Istanbul, von dort aus durch die Türkei in die bulgarische Hauptstadt Sofia, weiter nach Budapest in Ungarn und nach Wien, von dort nach Düsseldorf und schließlich nach Essen. Zuletzt lag eine 12-tägige Fahrt hinter ihnen und was sie nach knapp 6.400 anstrengenden Kilometern jetzt suchten, war nichts als - Ruhe.
Hilfe aus der Pfarrgemeinde
Dass die knapp sieben Wochen auf dem Unitas-Haus möglich waren, hat uns auch gefreut. Die Zimmer standen leer, die Stadt Essen machte keinen Gebrauch von dem Angebot, das wir mit einigen Räume für diese Zwecke zur Verfügung gestellt hatten. Und Unterstützung für das Team der Unitas kam prompt: Ehrenamtskoordinator Michael Sommer von der Ukrainehilfe der Pfarrei St. Josef in Essen-Frintrop machte es möglich, schleppte sofort drei Betten an, Bettzeug und Bezüge.
Waren die Drei zu Beginn noch äußerst zurückhaltend und vorsichtig, fühlten sie sich mit der Zeit sichtbar wohler und gut aufgenommen. Karol, der den zufälligen Kontakt geknüpft hatte, konnte perfekt übersetzen, auch Sprach-Apps halfen weiter. Und aus der Küche, die sie benutzen konnten, roch es immer verführerisch gut. Selbst über das Borbecker Marktfest ging es gemeinsam und alles, was man braucht, war problemlos zu finden. Mit Einkaufen, Kochen, Spazieren im Schlosspark und scheinbar endlosem bangen Warten verging der Tag.
Warten auf das Visum
Denn alle Sehnsucht konzentrierte sich vor allem auf die sehnsüchtig erwartete Rückmeldung der britischen Behörden, täglich hofften die Drei auf das nötige Visum: Zwischendurch zerschlugen sich aber erste Kontakte zu potenziellen Gastfamilien und das Warten begann von Neuem. Zuletzt aber kam sie doch: eine Zusage aus der Gegend von Leeds – und das Visum, so hofften sie, konnte damit nur noch eine Frage der Zeit sein. Am Dienstag kam es endlich - zu übergroßer Freude. Jetzt sind sie an der Küste und auf dem Weg auf die Insel.
Wir bleiben zurück, immer noch beeindruckt von dieser unglaublichen Leistung, die ihnen auf ihrer Flucht abverlangt wurde. Zielstrebig und zäh gemanaged von Katrina, die alles regelte und online nebenher sogar weiter ihrer Arbeit nachging. Rührung und vielfache Dankbarkeit gab es viel und auch Tränen zum Abschied. Es hat uns gefreut, dass wir sie kennenlernen durften. Und wir wünschen ihr, ihrer Mutter Tjana und Tante Olha das, was sie sich wünschen: Frieden, Sicherheit und eine gute Zukunft. Goodbye, Katrina!