ESSEN. Wer immer auch Anakreon ist – die Apfelsine schmeckt nach mehr. Und Nelken sind wahrscheinlich auch drin. Irgendwas Gesundes muss wohl dabei sein. Richie übernimmt die Schöpfkelle: „Ackermann! Nachschenken! Schreiben sie ins Klassenbuch: Karl May hat nichts mehr zu trinken.“ Und dann läuft das flüssige Feuer über die Tischplatte. Hektisches Ausklopfen. Trocken klebt das Zeug wie Uhu. Kurz: Die Ruhranen kümmern sich vor den Festtagen wieder um die Tradition. Am Freitag, 20. Dezember, braut das hohe Philisterium ab 19. 30 Uhr im Unitas-Haus an der Flurstraße Vitaminhaltiges der Extraklasse. Die Feuerzangenbowle – ob mit dem gleichnamigen Film oder ohne – ist der Klassiker. Kein Wunder, dass sich viele weitere leibhaftige Klassiker schon angesagt haben.
Krambambuli, das ist der Titel …
80 Jahren Feuerzangenbowle? Genau – so alt wird der bekannte Rühmann-Film in diesem Jahr. Doch der wahre Geist des „Krambambuli“ ist weit älter. Dabei hat er vieles mit dem gerne und laut „geriebenen“ studentischen „Salamander“ gemein. Namensgeber der Trinksitte ist wohl tatsächlich der heute gefährdete Echte Salamander aus der zoologischen Familie der Salamandridae, die mit fantastischen Eigenarten beschrieben werden. Denn es lebt nach Theophrastus Bombast von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493-1541), das meist eigentlich amphibisch lebende Tier - im Feuer. Daher dürfte es nun mal auch locker in einem lodernd brennenden Schnapsglas gut und gerne munter überleben.
… aber der Salamander stand Pate
Aristoteles (384–322 v.Chr.) und Theophrastos von Eresos (ca. 371-287 v.Chr.) fabulierten bereits die Urfabel und der römische Schriftsteller Plinius der Ältere (24-79 n. Christus) vermerkt analog in seiner „Naturalis historia“: „Dieses Tier ist so kalt, dass es Feuer auslöscht, wenn es dies berührt, wie es auch Eis tut.“ Auch die lateinischen Fassungen des Physiologus aus dem 2. und 4. nachchristlichen Jahrhundert schreiben dem Salamander - nicht in der Bibel, wohl aber im Talmud erwähnt – wahre Wunderdinge zu: Er vermag nach dieser frühchristliche Naturlehre Feuer zu löschen und überlebt wie die drei Jünglinge im Feuerofen (Dn 3, vgl. Hbr 11,33 und Is 43,2) – ja er wird sogar durch seine außergewöhnliche biologische Regenerationskraft zum Symbol für die Auferstehung.
Fromme Irrtümer
Selbst Kirchenlehrer Augustinus, von dem das ganze Mittelalter über abgeschrieben wird, erwähnt ihn mit seinen so definierten besonderen Eigenschaften im 21. Kapitel seines Hauptwerks „De civitate Dei“ (413 bis 426). Auch der Universalgelehrte und Kirchenvater Isidor von Sevilla (560-636) kann kaum umhin, all das in seiner Etymologiae zu bestätigen: Als einziges Tier ist er fähig, Feuer zu löschen und brennt auch nicht, der Salamander lebt im Feuer und ist geschlechtslos. Selbst Leonardo da Vinci war von der Feuerfestigkeit des Lurchs überzeugt. Und seit 1517 taucht der Feuersalamander ob seiner geschmeidigen Fähigkeiten bei Franz I. im Wappen der französischen Könige auf – das von ihm errichtete Schloss Chambord an der Loire ist gepflastert mit Abbildungen des kleinen Drachen. Ob die mit Bier und Honigmet experimentierenden alten Germanen auf ihren Bärenfellen von all dem wussten, denen das Reiben der anschließend auf den Tisch geknallten Gemäße zugeschrieben wird? Das meiste rund um dieses Trinkbrauchdetail bleibt nach den phantasietrotzenden Deutungsversuchen nationalistischer Deutschtümler des 19. Jahrhunderts eher unterkomplexes Runenraunen.
Das Kanapee ist mein Vergnügen
Zurück zum „Krambambuli – denn trotz allem ist Fakt: Der „Salamander“ wurde ursprünglich nicht wie heute mit Gerste- und Malz-Produkten zelebriert, sondern tatsächlich mit dem ursprünglichen Krambambuli. 1745 – vor fast 280 Jahren - kratzte die Schreibfeder von Christoph Friedrich Wedekind (1709-1777) alias Crescentius Koromandel gleich 102 Strophen des gleichnamigen Trinkliedes aufs Papier – gemünzt auf den gleichnamigen scharfen Danziger Edeltropfen und dessen Geburtsstätte im „Haus im Lachs“. Die Gelegenheitsdichtung findet sich in „Koromandel's Nebenständiger Zeitvertreib in Teutschen Gedichten“ (1747) und war gedichtet auf das um 1740 entstandene „Kanapee-Lied“ („Das Kanapee ist mein Vergnügen, Drauf ich mir was zugute tu, Da kann ich recht bequeme liegen, In meiner ausgestreckten Ruh, Tut mir’s in allen Gliedern weh, So leg ich mich aufs Kanapee …“, abgedruckt in: „Liebesrosen, worinnen viele neue Liebes Arien und angenehme weltliche Lieder zu finden, welche ohne Ärgernis können gesungen werden“), dessen Weise sogar Gebrauch im Kirchengesang gefunden haben soll. Gekürzt fand die über fliegende Blätter verbreitete poetische Großtat von Wedekind, des vielgereisten Niedersachsen in Holsteinischen Diensten, bald Eingang ins Allgemeine Deutsche Kommersbuch.
Keine Missgunst für Gottes Gabe
Seit den Studiosi dieser Zeit, die unter Krambambuli jede Art von heißen Bowlen, Glühwein oder weinhaltigen Mixgetränken verstanden, blieb das heute nur noch eher selten im Jahr konsumierte Getränk neben allem anderen ein heimlicher Star. Vielleicht, weil der hochprozentige Dauerbrenner schlicht meist umsonst ist, wie Strophe 7 bezeugt: „Doch hat der Bursch kein Geld im Beutel, so pumpt er die Philister an und denkt: Es ist doch alles eitel, vom Burschen bis zum Bettelmann; denn das ist die Philosophie im Geiste des Krambambuli.“ Allerdings - christliches Gönnenkönnen hat aber auch seine Grenzen. Strophe 11 stellt klar: „Wer wider uns Krambambulisten sein hämisch Maul zur Mißgunst rümpft, den halten wir für keinen Christen, weil er auf Gottes Gabe schimpft; ich gäb ihm, ob er Zeter schrie, nicht einen Schluck Krambambuli.“ ....
Gesundes aus der Volksmedizin
Nun wird ja keiner das Schimpfen anfangen, wenn just der hülfreiche Arzeney-Pott auf dem Tisch duftet. Denn was gesund ist, zeigt uns nicht erst der Schrittzähler, sondern schon die Geschichte: Die Spur des Urgetränks führt uns tatsächlich bis zu einer 1598 in Danzig gegründeten Likörfabrik eines mennonitischen Holländers zurück, die er dort im Haus „Der Lachs“ ins Leben rief – vielleicht ist damit auch gleich der Spruch „Voll der Lachs“ erklärt. Denn was die Spirituose kann, zeigen die Ingredienzen: Branntwein mit Wacholderbeeren-Auszug. Den gemeinen Wacholder (Juniperus communis L.), eine der ältesten Heil- und Gewürzpflanzen, schätzten schon die alten Römer, wurde doch das Nadelgehölz mit seinen ätherischen Ölen und der größten Kältetoleranz unserer Breiten in der Volksmedizin insbesondere als Antiseptikum und harntreibendes Mittel eingesetzt. Im Mittelalter nutzte man die Zweige zum Ausräuchern der Krankenzimmer gar als Mittel gegen die Pest.
Literarischer Dauerbrenner
Der Danziger Edeltrunk ist auch literarisch überliefert: Er wird genannt in Theaterstücken wie Lessings „Minna von Barnhelm“ (1767, I 2) oder Heinrich von Kleists „Der zerbrochene Krug“ (1811, 5. Auftritt). Und im 19. Jahrhundert sind medizinische, pharmazeutische, chemische, chirurgische und militärische Handbücher voll mit Tipps zur Verwendung von gewürztem heißem Branntwein, ebenso wie landwirtschaftliche Ratgeber, Romane oder Reisebeschreibungen. Dr. Otto Wendts „Familien-Lexikon für das alltägliche Leben in der Stadt und auf dem Lande“ (Leipzig 1863) etwa kennt für den Branntwein zahllose innere und äußere Möglichkeiten der Anwendung in allen Variationen, Aufbrühungen und Mischungen.
Der Name des „Krambambuli“ selbst ist einerseits möglicherweise slawischen Ursprungs – das legt der Entstehungsort nahe. Das Grimmsche Wörterbuch formuliert: „krambambuli, m., Danziger wachholder- oder kirschbrantwein, dort in einem hause 'zum lachs' bereitet, daher 'veritabler Danziger, echter doppelter lachs'…“ (vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 9 (1869), Bd. V (1873), Sp. 1994, Z. 29.). Es kommt nach anderer Deutung vom „Krandewitt“, wie der Wacholder auch genannt wird, bzw. als „wahrscheinlich scherzhafte Verstümmelung“ der als „Krammetsbeere“ bezeichneten Holunderbeere mit dem rotwelsche Wort Blamp, mit dem fahrende Leute alkoholische Getränke bezeichneten.
Kleine Fußnote: Nach einem alten Gärtnerwitz wird der lateinische botanische Name für Wacholder auf „Juniperus tandem“ erweitert, wenn es sich um einen Doppelwacholder handelt. Doch kann man ihn wie schon in Danzig zusätzlich mit Kirschen aufpimpen – das zeigte auch die 1883 veröffentlichte und mehrfach später verfilmte Erzählung „Krambambuli“ von Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916), einer deutschen Version von Rintintin oder Lassie.
Lasst also den Zucker rinnen ….
Was nun auch immer von all dem: Der Name der „Feuerzangenbowle“ ist einfacher zu erklären. Er ist nicht von den Inhaltsstoffen oder den gewundenen Wegen der Sprachgeschichte, sondern von der Art der Herstellung mit einer quer über dem noch unschuldigen Sud liegenden Zuckerzange abgeleitet - auf ihr werden die zum Brandopfer bestimmten Zuckerhüte flachgelegt. Denn irgendwie muss man den süßen Zucker ja ans Brennen bringen. Dass man dafür zufällig eine gewisse Menge Alkohol verwendet, liegt auf der Hand. Er brennt eben. Und damit brennen sich sicher wohl alle Abende, an denen die blauen Flammen so verführerisch züngeln, auch so - mehr oder weniger - unvergesslich ins Gedächtnis ein.
Verantwortlich dafür dürfte schlicht die einfach extrem gesunde Mischung von Rotwein, Weißwein, Orangen, Zitronen, Zimtrinden und Gewürznelken, Feinkristallzucker und Rum sein. Ob dann noch Stern-Anis dazukommt, ist nach einigen Gläsern eh schon egal – und das an allen studentischen Kneiptischen in diesen Tagen vom Baltikum über die Niederlande und Flandern, von Schottland, Polen, Frankreich bis nach Deutschland oder Österreich.
Liebe Krambambulisten! Verliert Euch nun nicht im Gehedder der Altertumswissenschaften, der Etymologie oder der gepflegten Alchemie. Tut, was zu tun ist. „Alterius non sit, qui suus esse potest“, schreib man dem genannten berühmten Paracelsus als Wahlspruch zu: „Nicht von einem anderen abhängig mache sich, wer sein eigener Herr zu sein vermag“. (Gualterus Anglicus, seit dem 14. Jahrhundert im Polythecon, Buch 5, Vers 690). Drum messe jeder sein adäquates Maß und bleibe danach dem Trunke einfach für ein weiteres Jahr wieder abhold. Also: