ESSEN. Morgen, am 9. Mai, wird zum Europatag geflaggt. An allen öffentlichen Gebäuden sollte er hängen, der „europäische Union Jack“, unser kontinentales „Star Sprangled Banner“, unsere - Europas - Unionsflagge. Wir haben schon mal heute vorgezogen und sie aufgezogen. Durchaus in Erinnerung an unseren Vorort, den wir für den Unitas-Bundesverband zu unserem 100. Jubiläum vor 11 Jahren übernommen hatten. In dieser Zeit ließ die Verbandsgeschäftsstelle unter Verbandsgeschäftsführer Dieter Krüll jedem Unitas-Verein von Hamburg bis München, von Aachen bis Berlin und Erfurt eine solche Fahne zukommen – um Farbe zu bekennen.
Zeichen und Bekenntnis
Aus diesem Grund haben wir sie zum Europatag 2022 nun am Haus der Unitas Ruhrania Bochum – Duisburg-Essen – Dortmund gehisst. Weil wir ein Zeichen setzen wollen – gerade jetzt. Weil wir uns dem verpflichtet sehen, was am 9. Mai vor 72 Jahren in Paris geschah und was den Europatag begründet hat.
„Was wir brauchen, ist ein vereintes Europa, das ausschließlich auf Werke des Friedens ausgerichtet ist, ein Europa, das seine Anstrengungen und seine Ressourcen bündelt, um das wieder aufzubauen, was fünf Kriegsjahre zerstört haben“, erklärte unser Bbr. Robert Schuman bereits am 17. Januar 1949 in Bern. Ein Jahr später trat er als französischer Außenminister im Salle d´Horloge des Quai d´Orsay mit einer streng geheim vorbereiteten Regierungserklärung vor die Weltpresse. Schuman hatte sie in seinem Haus in Scy-Chazelles noch einmal intensiv überdacht, nur wenige Stunden zuvor wurde der deutsche Kanzler Konrad Adenauer informiert, der sofort zustimmte. Schuman trat an das Mikrophon und erklärte in seinen einleitenden Sätzen:
„Es geht nicht mehr um leere Worte, sondern um eine mutige Tat, um eine Gründungstat. Frankreich hat gehandelt, und die Folgen seines Handelns können gewaltig sein. Wir hoffen, dass sie es sein werden. Frankreich hat in erster Linie im Interesse des Friedens gehandelt. Damit der Frieden eine echte Chance erhält, muss es zunächst ein Europa geben. Fast auf den Tag genau fünf Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands tut Frankreich den ersten entscheidenden Schritt für den Aufbau Europas und beteiligt Deutschland daran. Die Verhältnisse in Europa müssen sich dadurch vollständig verändern. Diese Veränderung wird weitere gemeinsame Taten möglich machen, die bisher undenkbar waren. Daraus wird ein Europa entstehen, ein zuverlässig vereintes und ein sicher gebautes Europa.“
Schumans mit Jean Monnet entworfene „Historische Erklärung“ vom 9. Mai 1950 war fundamental programmatisch: „Der Friede in der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die den Gefahren entsprechen, die den Frieden bedrohen“, sagte er. Europa lasse sich nicht mit einem Schlage herstellen, sondern es werde durch konkrete Tatsachen entstehen. Zunächst müsse eine „Solidarität der Tat“ geschaffen und der jahrhundertealte Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland ausgelöscht werden – sofort, durch einen ersten ganz pragmatischen, „begrenzten, doch entscheidenden“ Schritt: Die französisch-deutsche Kohle- und Stahlproduktion solle einer gemeinsamen Hohen Behörde unterstellt werden, deren Entscheidungen bindend sind. Die Zusammenfassung der wirtschaftlichen Interessen werde zur Hebung des Lebensstandards und zur Schaffung einer Wirtschaftsgemeinschaft beitragen, zudem sei dieser Vorschlag offen für alle anderen europäischen Nationen, die die Ziele teilten.
„Zerstückelung Europas ist ein Nonsens“
Es war die Geburtsstunde der Montan-Union, die 1951 von den sechs Gründerstaaten ratifiziert wurde und im Juli 1952 – vor 70 Jahren – in Kraft trat. Schuman erläuterte in der ZEIT (26. April 1951):
„Es wäre ein Irrtum, zu glauben, dass ein geeintes Europa nur eine Improvisation ist, ein Ausweg zur Lösung des deutschen Problems oder ein Schachzug gegenüber der russischen Bedrohung. Es gibt tiefere und nachhaltigere Gründe für die Einigung.“
Die europäischen Länder fühlten sich in ihren nationalen Grenzen mehr und mehr beengt, so Schuman, sie könnten sich nicht mehr aus eigener Kraft erhalten und ihre inneren Probleme mit eigenen Mitteln lösen. Sein Fazit: „Die Zerstückelung Europas ist ein Anachronismus, ein Nonsens, eine Häresie geworden. Die politischen Grenzen sind das Ergebnis einer historischen und ethnischen Entwicklung, die wir respektieren. Es soll keine Rede davon sein, sie auszulöschen. In früheren Epochen veränderte man sie mit Hilfe gewaltsamer Eroberungen oder ertragreicher Heiraten. Heute genügt es, ihre Bedeutung zu entwerten. Auf den alten Grundmauern müssen wir ein neues Stockwerk errichten. Das Übernationale wird auf nationalen Grundsteinen ruhen.“
Herausforderung Ukraine-Krieg
Noch im Februar haben wir an den 1992 geschlossenen Vertrag von Maastricht erinnert. Zahlreiche weitere Verträge begleiteten und festigten diese Entwicklung, bindende Verabredungen selbständiger Staaten, die sich in der Europäischen Union gemeinsam auf den Weg machten. Und heute schauen wir auf eine Herausforderung, die in dramatischer Weise die Richtigkeit dieses Weges zeigt. Denn der Krieg, der im größten Land Europas ganz konkret nun ausdrücklich unsere Union bedrängt, ist die Nagelprobe: Putins Panzer rollen im Namen einer Retro-Politik, sie überfielen ein souveränes Land, sein Militär verübt grausame Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sie verhöhnen und verspotten die internationale Gemeinschaft und das Völkerrecht.
Fundamentale Herausforderung bestehen
Just nun an dem Tag, an dem wir den Europatag begehen, wird eine bombastische Militärparade über Moskaus „Roten Platz“ donnern, ein superreicher Kriegsherr wird sich mit seiner verblendeten Kamarilla im Glanz der Waffen sonnen. Doch wir setzen dem nationalistischen Säbelrasseln eine andere Demonstration entgegen: Eine Haltung der Solidarität und der praktischen Tat. Denn ein Zurück vor das Jahrhundertwerk der paneuropäischen Integration darf es für die freie Welt nicht geben.
So schwierig alle Abwägungen nun sind, so sehr jetzt politische Instinkte und Verantwortung gefragt sind: Diese fundamentale Herausforderung wollen und müssen wir bestehen. Genau dazu haben wir uns in der Unitas – wieder einmal - noch im letzten Jahr verpflichtet. Denn jedem und jeder sollte nun klar sein: „Freiheit heißt Verantwortung“ – es war das Motto der 144. Unitas-Generalversammlung, die im vergangenen Jahr in Essen tagte. Dem politischen Erbe von Robert Schuman verpflichtet, hatten wir uns in unserer Resolution zu unserer Verantwortung bekannt, Europa als „Kontinent der Freiheit“ aktiv mitzugestalten.
„In der Krise beweist sich der Charakter. Das gilt nicht nur für Menschen, es gilt auch für Zivilisationen“, hieß es dort. Dies gelte in politischer, wirtschaftlicher, vor allem aber auch in ethischer und religiöser Hinsicht. „Wir sind europäische Bürger!“, so der Appell: „Der Unitas-Verband versteht dieses Bekenntnis als Selbstverpflichtung, aber auch als Appell an alle Glaubensgeschwister, ihrer Verantwortung als Christen für den Kontinent der Freiheit nachzukommen.“ Oder wie es in der Europahymne unserer Liederbücher heißt: „Est europa nunc unita“ et unita maneat. ...“!
Hymnus Europae |
Die Hymne Europas |
Est Europa nunc unita |
Europa ist nun vereint |
et unita maneat; |
und vereint möge es bleiben; |
una in diversitate |
in Vielfalt geeint, |
pacem mundi augeat. |
möge es den Weltfrieden stärken. |
Semper regant in Europa |
Immer mögen in Europa herrschen |
fides et iustitia |
Vertrauen und Gerechtigkeit |
et libertas populorum |
und die Freiheit seiner Völker |
in maiore patria. |
in einem größeren Vaterland. |
Cives, floreat Europa, |
Bürger, Europa möge blühen, |
opus magnum vocat vos. |
eine große Aufgabe ruft euch. |
Stellae signa sunt in caelo |
Goldene Sterne am Himmel |
aureae, quae iungant nos. |
sind die Symbole, die uns verbinden mögen. |
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