Bbr. Roderich Kiesewetter: Politik mit Haltung

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ESSEN. Man warf ihm viel vor in diesen Wochen, man stellte ihn als „Kriegstreiber“ an den Pranger, er wurde körperlich angegriffen. Doch Bbr. Roderich Kiesewetter MdB, Jahrgang 1963 und seit 2009 direkt gewählter Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Aalen-Heidenheim, steht zu seinen Überzeugungen. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler und Diplomkaufmann verließ 2009 die Bundeswehr als Oberst im Generalstab - nach vielen Stationen im Heer, im Verteidigungsministerium, bei der EU in Brüssel, im NATO-Hauptquartier in Mons und nach Einsätzen auf dem Balkan. Wenn er damit zu Fragen von Krieg und Frieden spricht, tut er das aus intensiver persönlicher Erfahrung. Zudem schaut er als Obmann im Auswärtigen Ausschuss, stv. Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums und anderen parlamentarischen Gremien mit vielen internationalen Verbindungen mit großer Expertise auf die geostrategischen und außenpolitischen Herausforderungen der Zeit. Und am Samstag, 5. Oktober, war der in vielen Talkrunden und Sendungen präsente Außen- und Sicherheitspolitiker der CDU Festredner beim Tag der Deutschen Einheit, der seit vielen Jahren von der CDU Kupferdreh/Byfang ausgerichtet wird.

„Wir wählen die Freiheit!“

In einem ausgezeichnet vorbereiteten Rahmen begrüßten Ratsherr Dirk Kalweit und Matthias Hauer MdB, Kreisvorsitzender der Essener CDU, knapp 200 Gäste im Pfarrheim am Heidbergweg, darunter Stadtdirektor Peter Renzel, zahlreiche Ehrengäste aus allen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen. Die einführenden Erinnerungen an die Wendezeit, an die Verdienste der friedlichen Revolution der Bürger im damaligen SED-Staat und an das beherzte Ergreifen der historischen Chance nahm Bbr. Roderich Kiesewetter gerne auf. Er stellte seinen Vortrag „Die Sicherung Deutschlands und Europas in herausfordernden Zeiten – was ist unsere Freiheit wert?“ in den großen Bogen der deutschen Geschichte: „Wir wählen die Freiheit!“ – dieser Satz von Konrad Adenauer sei programmatisch für die bundesrepublikanische Nachkriegszeit gewesen, so Kiesewetter. Das aus den furchtbaren Erfahrungen des NS-Regimes erwachsene und vor 75 Jahren verabschiedete Grundgesetz habe dieser neuen Freiheit Rahmen und Ordnung gegeben; der Verankerung der Grundrechte seien mit der Westbindung, der Wiederbewaffnung, der deutsch-französischen Freundschaft, dem Weg zur europäischen Einigung und dem Beitritt zur NATO wesentliche weitere Schritte gefolgt.

Die Freiheit verteidigen

Die deutsche Einigung nach seiner Überzeugung nicht zuletzt auch aus den großen Nachrüstungs-Debatten der 80er-Jahre hervorgegangen: „Ganz entscheidend dabei war das unmissverständliche Signal, dass wir unsere Freiheit verteidigen werden“, unterstrich der Sicherheitsexperte. Der ehemalige Sowjetstaat Russland werde in seinen klar zu Tage liegenden imperialen Bestrebungen und als „die letzte Kolonalmacht der nördlichen Hemisphäre“ auch weiterhin nur auf genau diese Botschaft reagieren, betonte Bbr. Roderich Kiesewetter mit Blick auf die Lage in der Ukraine. Die Situation des völkerrechtswidrig überfallenen Landes sei nun der Ernstfall für die demokratische Politik der Gegenwart: Sie stelle sehr grundsätzlich die Frage nach den Grundlagen unseres Zusammenlebens, der Zukunft Europas und der Staatenordnung in globalem Maßstab.

Mit großer Leidenschaft warb er daher für eine weitere eindeutige und stärkere militärische Unterstützung des gepeinigten Landes und geißelte ein vor allem durch Regierung und Kanzler vielgeübtes Schönrechnen bislang geleisteter Hilfe. „Wir wählen die Freiheit!“ – dieser Satz gelte nicht zuletzt für die innerdeutsche Politik, so der langjährige Abgeordnete. Jenseits allen Redens von einer „Brandmauern“: Der CDU als „letzten Volkspartei“ sei - ganz abgesehen von der AfD – mit Blick auf das BSW dringend vor einem Zusammengehen mit den Erben eines zynischen Systems abzuraten, dass die Freiheit jahrzehntelang unterdrückt habe.

Im Gespräch mit der Unitas

„Ich grüße an dieser Stelle ganz besonders meine unitarischen Bundesbrüder!“, hatte Roderich Kiesewetter ganz zum Eingang seines rund einstündigen frei gehaltenen Vortrags vor dem großen Auditorium erklärt - und das mag viele Gäste überrascht haben. Viele Mitglieder des Essener Unitas-Zirkels waren im saalfüllenden Publikum, Bernd Genser und Dr. Christof Beckmann überbrachten als Vertreter der Altherrenschaft die Grüße der Ruhr-Unitas. Im angeregten Gespräch erkundigte er sich bereits vor Beginn der Festveranstaltung sehr offen und zugänglich nach dem unitarischen Leben im Ruhrgebiet, nach beruflichen Hintergründen und Erfahrungen: „Ich bin froh und freue mich sehr, dass ihr heute da seid.“

Persönliche Bekenntnisse

„Glaube gibt Orientierung und nur wenn man eine innere Orientierung hat, kann man auch eine Haltung entwickeln“, bekannte er seine grundsätzlichen Fundamente im sehr persönlichen Interview nach dem Vortrag. „Haltung in der Politik“ zu zeigen, bedeute für ihn ein durchaus in den christlichen Tugenden wie Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß wurzelndes nachvollziehbares Handeln, so Bbr. Kiesewetter, der sich dem Unitas-Verband bei der damaligen Unitas Ostland-Monachia in München angeschlossen hatte: „Mit Blick auf die Verbandsprinzipien der Unitas hat mich damals nicht nur die virtus, sondern vor allem die scientia begeistert“, erzählte er, „also das Streben nach Wissen, nach Erkenntnis, auch dass man zuletzt doch fehlbar bleibt, weil man eben nicht alles durch Wissenschaft erklären kann.“

Friede ist ein Werk der Gerechtigkeit

Dass ihm selbst in seinen Äußerungen zum Ukraine-Krieg „unchristliches Verhalten“ vorgeworfen wird, wies er weit von sich. Er selbst hatte den Kriegsbeginn vorhergesagt, schon früh darauf gedrängt, der Ukraine alle Mittel zur Verteidigung zur Verfügung zu stellen. Ihr nun zu ermöglichen, den Krieg auch in das Land des Aggressors Russland zu tragen, sei schlicht ein Akt der Gerechtigkeit: Den Krieg ganz auf ihr eigenes Gebiet zu beschränken und die Ukraine zu zwingen, ihr eigenes Territorium zur Vertreibung des Feindes selbst zu zerstören, decke sich ebenso wenig mit dem Völkerrecht wie eine Forderung nach freiwilligem Verzicht auf eigenes Staatsgebiet und einer Preisgabe der eigenen Bevölkerung. „Meine Mission ist mitzuhelfen, dass die Ukraine nicht in Vergessenheit gerät und zum Opfer wird“, so Bbr. Kiesewetter – auch mit scharfer Kritik am Bundeskanzler: „Er sieht die Ukraine als Opfer, als Pfand für das Wohlergehen Deutschlands, sucht den Weg als Friedenskanzler und opfert dafür ein Land, das eine sehr lange auch christliche Tradition hat. Er opfert dieses Land um des eigenen Rufes willen - und das halte ich für zutiefst unchristlich.“


Bbr. Roderich Kiesewetter mit den Organisatoren der Festveranstaltung zum „Tag der Deutschen Einheit" 2024, (v.l.) Bbr. Thomas Kleinschnittger (Unitas-Salia, Unitas Ruhrania), Ratsherr Dirk Kalweit

Freiheit, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung

Bereits jetzt geschähen in den besetzten Gebieten unglaubliche Gräueltaten, führte er mit vielen Beispielen aus. „Was anderes geschähe denn in Waffenstillstandsgebieten?“, fragte er und warnte vor einem allzu abstrakten Begriff von Frieden, in dem nur die Waffen schwiegen: „Frieden ist nur mit Gerechtigkeit, in Freiheit, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung denkbar. Sonst ist es kein Friede. Und das wird verwechselt in der hier sogenannten Friedensbewegung.“ Angesichts der innenpolitischen Entwicklungen im eigenen Land aber zeigte er sich deutlich pessimistisch und sehr nachdenklich: „Die Dinge ändern sich zum Schlechten“, erklärte er: „Wir brauchen Spitzenleute, die noch klarer werden, damit wir im wahrsten Sinne des Wortes nicht zur Verelendung der Ukraine beitragen und dazu, dass dieses Land zum Faustpfand unseres eigenen Überlebens wird, weil wir es im Wohlgefallen gegenüber Russland, China, Iran und Nordkorea zum Pfand machen, statt mit dem Pfund Ukraine zu wuchern und sie stärker zu machen.“

Für einen starken, wehrhaften Staat

Er zähle jedoch auf viele, die diese Haltung teilten und Widerstand gegen eine solche Entwicklung leisteten - nicht zuletzt zur Verteidigung einer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Ordnung in Europa, die „auf der Akropolis, auf dem Kapitol und auf Golgatha“ gründeten. Die in der griechischen Demokratie, dem römischen Recht und dem Christentum fundierte Freiheit des Individuums brauche „einen starken, wehrhaften Staat, der aber auch nicht zulässt, dass andere Staaten Opfer von Staaten werden, die die Stärke des Rechts dem Recht des Stärkeren unterordnen. Deswegen verdient die Ukraine unseren Schutz und dann auch Aufnahme in unsere Gemeinschaft“, erinnerte Bbr. Roderich Kiesewetter an die Wiederaufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die internationale und europäische Staatengemeinschaft nach dem II.Weltkrieg. Versöhnung sei möglich, so wie sie die Geschichte gezeigt habe: „Ich würde mir sehr wünschen, wenn ein Adenauer und de Gaulle, ein Mitterand und ein Kohl, ein Giscard und ein Schmidt eine Wiederholung in zwei Staatenlenkern aus der Ukraine und aus Russland finden, die in 30 oder 40 Jahren über den Gräbern stehen und sagen: Wie waren wir verrückt - endlich erkennt Russland das Existenzrecht all seiner Nachbarstaaten an. Ja, das ist mein Traum.“

cb


Bundesbrüder unter sich, v.l.: Thomas Kleinschnittger, Roderich Kiesewetter, Dr. Christof Beckmann und Bernd Genser