Die Entscheidung fiel vor 170 Jahren: Als im SS 1852 die Frage nach Vorbildern für die junge Bonner Ruhrania anstand, wählten sie gleich zwei Vereinspatrone: Den Dominikaner Thomas von Aquin und den Jesuiten Aloisius von Gonzaga - ein ungleiches Paar. Ihm folgte für die neu entstandene Unitas zwei Jahre später als Patronin auch Maria Immaculata - unmittelbar nach der Verkündigung des neuen päpstlichen Dogmas 1854. Zuvor war die mit erste deutsche katholische Studentenvereinigung überhaupt knapp 10 Semester lang ohne formelle Patrone ausgekommen. Jetzt gewann sie ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Verantwortlich für den wegweisenden Beschluss zur Wahl der Verbandspatrone und Einrichtung der Vereinsfeste war offensichtlich vor allem ein Bundesbruder, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr am 1. November 2022 zum 200. Mal jähren wird: Bbr. Leonhard Brandt, der damalige Präses der 1847 gegründeten Ruhrania.
Im Bild oben: Bbr. Pfr. Leonhard Brandt, Katholische Kirchen in Madison/Indiana, Inneres der Kirche St. Mary 1888, St. Mary School, East 2nd Street
Entscheidender Beitrag für die Gründung der Unitas
Leonhard Brandt, geboren am 1. November 1822 in Eupen im seinerzeit zu Preußen gehörenden deutschsprachigen Ostbelgien, ist nach Jahrgang der wahrscheinlich älteste der gesamten unitarischen Familie. Er hatte sich als junger Theologiestudent der an der Universität Bonn gegründete Ruhrania angeschlossen, die 1847 unter landsmannschaftlichen Gesichtspunkten von Studenten aus dem späteren Ruhrgebiet ins Leben gerufen worden war. Sie unterzog sich 1850 einer grundsätzlichen Reform: Die Gründergeneration legte ihre rot-weiß-roten Farben ab, verzichtete auf eine Fahne und wählte die Prinzipien „Virtus, scientia, amicitia“. Auch die zweimal wöchentlich stattfindenden Vortrags- und Diskussionsabende begannen Gestalt anzunehmen, so Verbandshistoriker Werner Ohlendorf im UNITAS-Handbuch von 1913. Statt studentischer Kneipen wurden die Namenstage der Mitglieder gefeiert: „Dann kam der entscheidende Schritt, der mit einem Schlage die Ruhrania von den übrigen katholischen Korporationen trennte und sie zu den positivsten aller Vereine erhoben hat“, unterstreicht Ohlendorf und zitiert dazu den entscheidenden Beitrag des „hochw. Missionars Brand in Amerika, derzeit Praeses“: Auf dessen Anregung „wurde beschlossen, dem Verein in den Heiligen Aloisius und Thomas von Aquin Patrone zu geben und ihre Feste durch gemeinschaftliche Kommunion der Mitglieder zu feiern“ - die Grundlegung der unitarischen Vereinsfeste. Die Wahl des Hl. Aloisius von Gonzaga mag durchaus auch auf ein persönliches Erlebnis von Brandt zurückzuführen gewesen sein: Unmittelbar vor der Entscheidung, von Ende April bis Anfang Mai 1852, hielten in seiner Eupener Heimat vier Jesuiten eine große Volksmission, von der bis heute ein Missionskreuz an der Westseite der Eupener Nikolauskirche zeugt.
Priesterweihe in den USA
Schon kurz nach dem Convents-Beschluss traf Bbr. Leonard Brandt für sich selbst eine weitreichende Lebensentscheidung: Nach dem Abschluss seines Studiums folgte er dem Ruf in den „Wilden Westen“. Er verließ das Rheinland und seine Heimat für immer, schiffte sich nach Übersee ein und ging als Missionar in die USA nach Madison (Indiana) im Bistum Vincennes, das auf die Mission von Jesuiten zurückging und war 1834 gegründet worden war. Im Dezember 1852 erhielt er in der von französischen Kolonisten gegründeten Stadt durch den Bischof von St. Palais seine niederen Weihe, die Subdiakons- und Diakonatsweihe. Am 1. Januar 1853 wurde er in der St. Francois Xavier-Kathedrale Vincennes zum Priester geweiht und feierte seine Primiz am 2.1.1853 in der St. John´s German Catholic Church.
„Wilder Westen": Madison Main Street 1852 (Madison-Jefferson County Public Library; Jefferson County Historical Society), Greiner Brewing Company Madison 1860-1870 (Sammlung Harry Lemen)
Gerade erst Priester geworden, empfahl er sich schon für höhere Aufgaben: Mit 31 Jahren wurde er bereits Generalvikar der heutigen Erzdiözese Indianapolis, der zwischen den verschiedenen zugewanderten Sprachgruppen wechselte. Zwischen 1853 und 1861 – acht Jahre lang - sorgte er in dieser Funktion vor allem für die deutschsprachigen Auswanderer, die in der Prärie eine neue Heimat suchten. Ein harter Job in der knapp 18.500 Quadratmeilen großen Diözese: Brandts Vorgänger starb bei einem Sturz vom Pferd.
Generalvikar, Missionar und Priester
Doch war Leonhard Brandt zugleich vor allem Missionar und Priester: Sein erster Einsatzort war zunächst die 1851 für die deutschsprachige Gemeinde gebaute Kirche St. John Baptist in Vincennes. Am 5. Februar 1856 wechselte er an die 1850 für die deutschsprachige Gemeinde errichtete St. Mary's Church in der damaligen Boom-Town Madison an der Staatsgrenze zu Kentucky. Im heute 940 Quadratkilometer großen Jefferson County/Indiana hatten sich seit dem Bau der Eisenbahn viele Iren und Deutsche angesiedelt. Der mächtige Ohio mag Bbr. Brandt an den Bonner Rhein erinnert haben, doch die Herausforderungen seiner neuen Aufgabe waren groß: Auf ihn wartete eine mit 6.000 Dollar vollständig verschuldete Gemeinde, in der Priester und Lehrer allein von den Kollekten leben mussten. Allerdings bewies der inzwischen 34-Jährige - parallel zu seiner Aufgabe als Generalvikar des Bistums - sein außerordentliches Organisationstalent, wie die Bistums-Quellen zur Arbeit in seiner Gemeinde vermerken: „He was a talented and energetic priest and (...) In fact he raised it from nothing as it were to one of the most flourishing in the diocese“.
Aufbau der katholischen Gemeinde
Mit großer Energie brachte Brandt in der weit abgelegenen Kleinstadt die völlig heruntergekommenen Gebäude der St. Mary´s-Kirche an der North Vine Street auf Vordermann, sorgte für einen neuen Altar und Heiligenfiguren, für die Innenausstattung und neue liturgische Gewänder. Zum Dezember 1858 konnte er ein Nebengebäude dazukaufen, 1860 wurde eine Scheune gebaut, 1864 eine große Orgel und eine nahegelegene Quelle erworben. Das viel zu klein gewordene Schulhaus konnte 1865 durch einen dreistöckigen Ziegelbau ersetzt werden und 1867 in einer Meile Entfernung ein großes Friedhofsgelände gekauft werden. 1869 wurde die Kirche vergrößert und mit Fresken ausgemalt, 1876 kam eine weitere Schule für Mädchen dazu, die von Ordensschwestern versorgt wurde. In den Kirchenregistern zeugen bis heute zahllose Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen von seinem Wirken – vor allem in der deutschsprachigen Community.
Ein letzter großer Kraftakt gelang ihm mit Mitte 50: Das alte Pastorat wurde abgerissen und 1877 mit vier weiteren Schulräumen und Versammlungssaal vollständig neu errichtet – ein Schmuckstück für die Stadt „and the crowning act of Father Brandt's great work at Madison”, wie die Bistumschronik vermerkt. Neben seinen zahlreichen Projekten in der eigenen Pfarrei - seit 1993 heißt sie „Parish Prince of Peace" - kümmerte sich Leonhard Brandt zudem um weitere Gemeinden und Missionsstationen im weit entfernten Indianapolis, wo er mit dem Bau der Marienkirche begann, aber auch im Umland. „We can barely realize all the hard work done by the indefatigable Father Brandt; however, it is all recorded in the Book of Life”, so die Bistums-Chronik.
Früher Tod des „treuen Seelenhirten”
Doch sein rastloses Leben hatte seinen Preis: Bbr. Leonhard Brandt starb nach langer schwerer Krankheit am 13. April 1881 - gerade mal 58 Jahre alt. Begraben wurde er als einer der ersten Seelsorger auf dem von ihm erworbenen St. Joseph´s Cemetery in Madison / Jefferson County. Der Grabstein für „Hochw. P.L. Brandt“ (Section 3, Row 4, Block 37) würdigt sein segensreiches Wirken über mehr als 25 Jahre im Dienst der Marien-Gemeinde. Es ist aus weißem Carrara-Marmor und trägt die deutsche Inschrift:
„Dem treuen Seelenhirten widmet dieses Denkmal die dankbare Gemeinde. – Gewiss ist dieses Wort: Wenn wir mit Ihm sterben, werden wir auch mit Ihm leben: Wenn wir mit Ihm dulden, werden wir auch mit Ihm herrschen“ aus dem II. Brief des Paulus an Timotheus.
Eine offensichtlich später ergänzte Grabplatte für „Rev. Leonard Brandt“ nennt seine Lebensdaten: „BORN AT EUPEN PRUSSIA Nov. 1. 1822, ORDAINED PRIEST Jan 1. 1953, TOOK CARE OF ST. MARY´s MADISON. Feb. 5. 1856. DIED April 13. 1881.”
Die Arbeit von Leonhard Brandt für den Aufbau der jungen Kirche in den USA ist in den Annalen der Erzdiözese Indianapolis nicht vergessen. Auch an das unitarische Vermächtnis dieses Bundesbruders aus der frühesten Generation, der dem missionarischen Gedanken der Unitas persönlich folgte, sollte zu seinem 200. Geburtstag erinnert werden.
C. Beckmann
Bilder oben: Grabstätte von Bbr. Leonhard Brandt (Fotos: Colleen Sanders, Find a Grave, Datenbank und Bilder (https://de.findagrave.com/memorial/31963808/leonard-brandt: aufgerufen 21 Oktober 2022), Gedenkstättenseite für Rev Leonard Brandt (1 Nov 1822–13 Apr 1881), Gedenkstätten-ID bei Find a Grave 31963808, zitierend Saint Joseph Cemetery, Madison, Jefferson County, Indiana, USA; Verwaltet von Quietude (Mitwirkender 47201639).