125 Jahre Kneipp in Essen: Von der Kraft des Wassers

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ESSEN. Fünf Elemente gehören zusammen: Wasser, Bewegung, Ernährung, Heilpflanzen und Lebensordnung - bis heute erfreut sich das Kneippschen Gesundheitskonzept großer Beliebtheit. Auch Bbr. Gregor Heinrichs vom Unitas-Zirkel Essen „schwört“ auf sie: „Es gibt viele Arten selig zu werden“, schmunzelt er. Aber das Kneippen habe es ihm nun seit über zwei Jahrzehnte angetan. Er ist aktiv im Kneipp-Verein Essen, führt selbst zahlreiche Kurse durch und führt bei seinem „Ü 60 Gruga-Gesundheitsgang“ am Montag, 17. Mai, wieder durch den Kräutergarten im Grugapark. Treffpunkt um 13:30 Uhr ist die Kneipp-Bank vor der Gruga-Therme.

Sonderschrift von Bbr. Gregor Heinrichs

In der WAZ, der NRZ und im örtlichen Lokalkompass erschienen nun aktuelle Artikel, die diesem weltweiten Phänomen nachgingen, das es sogar zum immateriellen UNESCO-Kulturerbe brachte: Im Jubiläumsjahr zum 200. Geburtstag von Sebastian Kneipp stellten sie den berühmten „Wasserdoktor“ vor und setzten sich auch den lokalen Spuren des „Gesundheitsapostels“ aus Bad Wörishofen. Die Herkunft und das priesterliche Wirken des katholischen Pfarrers gerieten in den Artikeln zwar einigermaßen ins Hintertreffen, doch dafür gibt es ja den dort irrtümlicherweise als „Festschrift“ titulierten Aufsatz von Bbr. Heinrichs.

Pünktlich zum Kneipp-Jubiläum verfasste der Diplom-Pädagoge die Schrift für die „ESSENER BEITRÄGE. Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen“. Der 14-seitige Auszug aus dem 133. Band 2020 trägt den Titel „125 Jahre Kneipp in Essen“, ist als aktueller Sonderdruck veröffentlicht und zeichnet das Entstehen der Kneippschen Gesundheits-Bewegung bis heute nach. Schwerpunkt ist das Gründungsdatum des Essener Kneipp-Vereins, der nach Augsburg, Berlin, Krefeld und Dortmund zu den ältesten in Deutschland gehört. Die Anregung geht danach auf Sebastian Kneipp 1893 selbst zurück: Als der Dortmunder Verein ins Leben gerufen wurde, regte er auch eine Gründung in Essen an, die ursprünglich sogar zuerst erfolgen sollte. Sie kam im folgenden Jahr, am 6. Februar 1894 - ohne Kneipp. Aber das hatte seine besondere Bewandtnis ....

Ein Viehhirte wird Pfarrer

Knapp 73 Jahre zuvor hatte sich kaum abgezeichnet, welchen Siegeszug seine Ideen antreten würden. Denn nichts aus der Herkunft Sebastian Kneipps sprach dafür: Der am 17. Mai 1821 geborene Sohn einer armen Heimweberfamilie wuchs im oberschwäbischen Stephansried bei Ottobeuren auf, arbeitete als Viehhirte und Knecht. Doch er wollte katholischer Pfarrer werden, bekam Lateinunterricht beim Ortskaplan, schaffte es, nach dem Abitur in Dillingen und München das Theologiestudium zu absolvieren und wurde 1852 in Augsburg zum Priester geweiht.

„Die Lebensgeschichte Kneipps ist schon sehr interessant und ein Beispiel dafür, dass Gott auch krumme Wege grade machen kann“, so Bbr. Gregor Heinrichs und verweist auf die besonderen Talente des jungen Geistlichen: „Während seiner Kaplanzeit in Boos brach die Cholera aus. Als Kneipp eine Frau seiner Gemeinde heilte, erhielt er den Beinamen „Cholerakaplan" und nachdem seine Heilerfolge weiter publik wurden, eine Anklage. Ein Kaplan, der wegen Kurpfuscherei angeklagt wird, auch wenn es anschließend einen Freispruch gab, war seinem Bischof nicht ganz geheuer. Er versetzte ihn ins abgelegene Wörishofen, wo er als Beichtvater bei den Nonnen kein großes Unheil mehr anstellen konnte.“

Ganzheitlicher Ansatz für gesundes Leben

Für den inzwischen 34-jährigen Geistlichen, der schon in Jugendjahren seine Tuberkulose mit Wasseranwendungen heilte, war sein Wechsel 1855 ins Kloster der Dominikanerinnen ein Segen – auch für den bis dahin ziemlich unbekannten unbekannten Ort, so Bbr. Heinrichs: „Kneipp entwickelte nicht nur die Landwirtschaft der Nonnen zu einem Musterbetrieb und heilte dabei eine ganze Rinderherde von der Maul- und Klauenseuche. Er bewältigte auch einen immer größer werdenden Strom Hilfesuchender.“

Kneipp setzte seine seit Jugendzeiten verfolgten Studien zur Heilkunde und zur Wirkung von älteren Kurbeschreibungen fort und entwickelte ihn zu einem ganzheitlichen Ansatz für gesundes Leben: Neben der Heilkraft des Wassers empfahl er Heilpflanzenanwendungen, gesunde Ernährung, ausreichend Bewegung sowie Ordnung, in der er die spirituelle Ausgeglichenheit der Seele sah. Seit 1881 war er Ortspfarrer, für Tausende Patienten entstanden Badehäuser sowie ein organisierter Kurbetrieb und ab 1891 ging Kneipp auf 31 Vortragsreisen im In- und Ausland. Im Dienst der Volksgesundheit, aber auch aus finanziellen Gründen: Die Einnahmen aus seinen in hohen Auflagen verkauften Büchern, aus seinen Vortragsreisen und Gewinnanteilen an Produkten setzte er in Stiftungen wie dem Kurhaus „Sebastianeum“, dem Krankenhaus „Kneippianum“ und einem Kinderasyl ein.

Audienz bei Papst Leo XIII.

Als am 6. Februar 1894 der Essener Kneipp-Bund gegründet werden sollte, musste Kneipp allerdings absagen: Wörishofen zählte bereits über 33.000 Kurgäste, pro Jahr wollten den „Wunderdoktor“ über 100.000 dort besuchen. Auch international waren er und seine Gesundheitskonzepte bereits bekannt. Jetzt sorgte Erzherzog Joseph von Österreich und Ungarn, den er erfolgreich behandelt hatte, für einen Höhepunkt in Kneipps Leben: Auf seinem Tisch lag die Einladung von Papst Leo XIII. in Rom, der ihn bereits im Herbst 1893 zum Päpstlichen Geheimkämmerer ernannte. Mehrfach empfing ihn der Papst 1894 in Privataudienz – für Kneipp selbst wurde es zum wichtigsten Erlebnis. Dabei sieht Gregor Heinrichs durchaus Parallelen in ihrem Leben: „Zwischen dem Papst, der uns durch seine Enzyklika Rerum Novarum die katholische Soziallehre geschenkt hat, und der sozialen Einstellung Kneipps gab es also eine gewisse Seelenverwandtschaft.“

„Wohltäter der Menschheit"

Erst am 4. Oktober 1894 konnte Sebastian Kneipp, damals bereits 73-jährig, endlich der Einladung des jungen Essener Kneipp-Vereins ins Ruhrgebiet folgen. Sein Zug fuhr über Frankfurt, Mainz, Köln, Elberfeld nach Dortmund, wo ihn bereits die Essener Delegation empfing. Nach seiner Ankunft hielt er zunächst im Hotel Bergischer Hof Sprechstunde für über 100 Patienten. Im Essener Stadtgarten hatten sich 1.200 Zuhörer versammelt - wohl auch, weil die Katholischen Gesellenvereine Adolph Kolpings in Essen viel Reklame gemacht hatten: Kneipp war Präses des Katholischen Gesellenvereins in Wörishofen. Nach seiner Rede wurde ihm beim Festessen im Essener Saalbau der Ehrentitel „Wohltäter (Helfer) der Menschheit" verliehen – ein Wort, das sein Leben und Wirken bis heute begleitet. Gleich nach dem Empfang eilte Kneipp zu einer zweiten Sprechstunde und fuhr mit dem Zug weiter nach Krefeld. Noch im gleichen Jahr gründeten sich weitere Kneipp-Vereine in Steele, Wattenscheid und Mülheim. Als Kneipp am 17. Juni 1897 starb, galt er als einer der bekanntesten Europäer seiner Zeit.

Essen-Borbeck: Zentrum für Kneipp in NRW

Dem 1897 gegründeten Kneipp-Bund, der als größte private Gesundheitsorganisation in Deutschland gilt, gehören heute etwa 500 Vereine mit 150.000 Mitgliedern an. Hinzu kommen ungefähr 700 zertifizierte Einrichtungen wie Hotels, Kindergärten und Gästehäuser. Mit über 70 Kneipp- Vereinen zählt NRW zu dem Bundesland mit den meisten Kneipp-Vereinen in Deutschland. Die Geschäftsstelle des Kneippbund-Landesverbandes NRW liegt an der Marktstraße 34 in Essen-Borbeck und ist Ansprechpartner für alle Kneipp-Vereine in Nordrhein-Westfalen.

Unitarisches Erbe

„Gesund und aktiv“ ist für Bbr. Gregor Heinrichs, Jahrgang 1939, mehr als ein wichtiges Schlagwort. Vor genau 60 Jahren, 1961, wurde er bei der neugegründeten Unitas Ludger in Essen rezipiert und 1964 philistriert. Neben seinem Engagement für den Kneipp-Kräutergarten in der Essener Gruga streitet er derzeit für die Erneuerung des dortigen alten Barfuß-Pfades und plant jetzt für eine Natur-Kneipp-Anlage im Borbecker Mühlenbach.

Für ihn selbst bekam sein Kneipp-Engagement übrigens einen noch ganz unerwarteten weiteren Aspekt, als er dem Briefwechsel im Kreis der Familie nachging: Darin lud die Schwester seines Vaters, den er im Krieg nie wirklich kennenlernte, ihren Bruder zum „Wassertreten“ nach Österreich. Aus dem Zusammenhang war eindeutig zu schließen, dass bereits sein Vater ein bekennender und begeisterter „Kneippianer“ war. Und nicht nur das: Dr. Wilhelm (Willi) Heinrichs war auch Unitarier. Er hatte sich während seines Jura-Studiums in Münster der Unitas Winfridia angeschlossen.

Bild links: Bbr. Willi Heinrichs als FM der Unitas Winfridia Münster, rechts sein Sohn Bbr. Gregor Heinrichs als Senior der Unitas St. Liudger Essen